Die grauen Herren sind zurück – und sie sind bunt.

Wer erinnert sich noch an die Zeitdiebe aus Michael Endes Roman Momo? An jene ungeliebten, zigarrenrauchenden, aschgrauen Herren in spinnwebfarbenen Anzügen mit bleigrauen Aktentaschen, die die Menschen dazu bringen wollten, Zeit zu sparen, obwohl man Zeit doch gar nicht (so wie Geld) sparen kann. Nun, an dieser Geschichte aus den frühen Siebzigern stimmt heute so gut wie nichts mehr.

Denn Zeitdiebe, heute zumeist Nichtraucher und somit schwer zu erkennen, sind eloquent und bunt und müssen schon längst nicht mehr indirekt und insgeheim Zeit stehlen. Heute reicht es aus, sich selbst ganz publikumswirksam als Mann oder Frau des Ausgleichs zu positionieren. Als moderierender Chef, der unterschiedliche Interessenlagen harmonisiert. Als Präventiv-Konsenser© (einer von 5 Bedenkenträger-Typen aus dem Möglichmacher-Workshop), der Dank seines guten Gespürs für Team- und Kundenstimmung gerne schon mal vorauseilend ausgleicht, anstatt mitreißend zu führen. Keineswegs nur im Mittelmanagement, wie der Auszug links evtl. vermuten lässt, sondern ganz weit oben bis rauf zum Vorstand, wie man in der aktuellen Fallstudie des Harvard Business Manager so fein nachlesen kann.

Der dort skizzierte Vorstandschef von Starwash, einer fiktiven schwäbischen Waschmaschinen-Marke, versagt seinem neuen Innovationsvorstand, den er selbst immer wieder mit den Worten „Denken Sie anders! Radikaler! Neuer!“ angespornt hat, bereits in der ersten, großen Strategiesitzung die Unterstützung. Nicht aktiv, sondern durch passiven Präventiv-Konsens. Nicht, weil die Bedenken der Bewahrer-Fraktion plausibel wären, sondern um sich alle Türchen offen zu halten.

Anstatt also Unternehmen oder Abteilung mit einer eigenen, plausible vertretenen Meinung zu führen, stiehlt der Vorstandschef mit wachsweicher Planlosigkeit die Zeit anderer. Professor Boemmel aus der Feuerzangenbowle hätte dazu nur eines gesagt: „Bah, wat für ’ne fiese Charakter!“ http://youtu.be/LCeOthuguCw

Nun sind Fallstudien natürlich erfunden und ich würde im Leben nicht glauben, dass es solche Zeitdiebe tatsächlich auf Vorstands-Level gibt – hätte ich die nicht schon selbst erlebt. Und nicht nur da. Auch auf vorgelagerten Ebenen gewinnen die Prinzipien der Zeitdiebe an Bedeutung: Ergebnisoffenheit statt Entscheidung. Workshop statt Wollen. Konsens statt Cojones.

All das kostet jede Menge Zeit und in Folge dessen jede Menge Kohle – zumeist die, der anderen. Und damit Kollegen, andere Abteilungen oder gar das Controlling nicht nachrechnen, wie viel Ressourcen verballert werden, nassauern Zeitdiebe besonders gerne extern. Zu meinen ganz persönlichen Klassikern gehören dabei:

  • Das doppelte Briefing-Loch: Anstatt Briefing gibt´s drei bis fünf Mails mit allem, was keiner brauchen kann. Das daraus mühsam destillierte Rebriefing wird entweder ignoriert oder als Affront aufgefasst.
  • Die „Radikal-neu!“-Falle: Denn „radikal“ wird immer dann besonders geschätzt, wenn es den bisherigen Weg besonders gut bestätigt. Blöd nur, wenn man das trotz 25 Jahren Joberfahrung noch immer viel zu spät erkennt und tatsächlich Neues liefert.
  • Der Hausaufgaben-Hinterhalt: Was früher als gelegentlicher Freundschaftsdienst dazu diente, den Lehrkörper über vergessene Hausaufgaben hinwegzutäuschen, funktioniert heute mit System. Anstatt sich nämlich bei jobrelevanten Trends und Themen auch mal selber schlau zu machen, lassen sich heute schon Jungmanager der Generation Y das Social Web von ihrer Agentur erklären. Oder noch zeitraubender: Sie lassen es sich nicht erklären.
  • Der / die / das … ?

Was sind eure All-Time-Favorites, eure Zeitdiebstahl-Evergreens? Und woran, wenn nicht mehr am grauen Zigarrenrauch, erkennt man Zeitdiebe zuverlässig und möglichst rechtzeitig?

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  1. Hier ist noch ein Höhepunkt:
    Die „Back up Varianten statt Forward Thinking“ Falle…
    Der Masterplan (soweit vorhanden) könnte ja schief gehen. Und statt sich mit aller Kraft auf eben diesen zu stürzen, um ihn so gut wie möglich zu machen, entwickelt man die Rückzugsgefechte lieber direkt in drei- bis vierfacher Ausfertigung mit.

  1. 27. November 2012

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