Pferde-Lackierer oder Innovations-Katalysator: 
Können Agenturen Produkte besser machen?

Tja, wie bzw. wo steige ich jetzt an besten in das Thema ein? Beim letzten, mit leichten Abstrichen hörenswerten Werbeblogger Late Night Podcast zum Thema „Erfolgreiches New Business für Werbeagenturen”? Bei meiner Studie zur Innovations-Verantwortung

Caption_Innovationin großen Unternehmen vom letzten Jahr? Oder beim Statement des ehemaligen CEOs einer führenden Düsseldorfer Agentur, der mir sinngemäß sagte:

„Andreas, das Initiieren und Managen von Innovationsprozessen passt einfach nicht in den Agenturprozess – auch nicht, wenn die nötigen Erkenntnisse bereits verfügbar sind und sogar dann nicht, wenn wir wissen, dass wir damit einige Produkte und Dienstleistungen unserer Kunden nachhaltig besser machen könnten. Es passt halt nicht.”

Wer hat nicht schon mal eine hässliche Braut schön machen müssen?

Ich glaube jedem Werber und jeder Agentur ist es schon passiert, dass man eine Kampagne für ein Produkt (oder eine Dienstleistung) entwickelt hat, die bei näherer Betrachtung weniger taugte als versprochen bzw. weniger geboten hat als möglich wäre. So etwas geschieht ab und an. Und immer dann ist allerhöchste Agenturkunst gefragt:

  • Zuerst fokussieren Beratung und/oder Planning die Aufgabenstellung in einem Rebriefing so lange und so brillant, bis alle Beteiligten nur noch die eine, vergoldete Ecke sehen.
  • Daraufhin entwerfen Kreativ-Teams enthusiastisch Kampagne um Kampagne.
  • Nach einigem Hin und Her findet das Produktmanagement sein Produkt / seine Leistung vorteilhaft genug dargestellt – trotz des insgeheim bekannten Fehlens besonderer Kundenrelevanz – weil nunmehr genau der Blickwinkel gefunden wurde, aus dem keine einzige der unvergoldeten Ecken mehr zu sehen ist.
  • Und schlussendlich realisiert der gesamte Agenturapparat unter Zuhilfenahme einer Heerschar interner und externer Experten (Art-Buyern / FFF-Produktionern / Fotografen / Media- und SE-Optimierern / Social-Marketing-Profis etc. pp) eine glorreiche Kampagne, die allerbeste Chancen hat, Kreativitäts- oder Effektivitätspreise aller Art einzuheimsen.

Etwas gemein formuliert könnte man also sagen:

Wenn das zu vermarktende Angebot eher suboptimal ist, verdienen Werber im Grundsatz ihr Geld damit, dass sie mittelmäßige Gäule möglich geschickt zu Pseudo-Rennpferden umlackieren. Was nicht heisst, dass das Kaschieren von Produkt- oder Leistungs-Mankos nicht eine schweißtreibende, jede Menge Hirnschmalz erfordernde, hoch kreative und bei vielen Produkten überaus ehrenwerte Arbeit ist. Schließlich können nicht alle Produkte dieser Welt von sich aus den hohen „Haben-Will-Faktor” wie das iPhone besitzen. (Man denke da nur mal an die passenden iPhone-Tarife von T-Mobile, die ja auch jemand bewerben musste ;-)

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Werber wissen mehr.

Klar ist, dass natürlich nur die aller wenigsten Angebote „bahnbrechende Selbstläufer” sind (was für uns Werber so gesehen ja auch prima ist).

Klar ist aber auch, dass bei der Entwicklung von Werbung immer wieder Erkenntnisse auftauchen, die enorm wertvolle Ansätze darstellen könnten, um Produkte und Leistungen aus sich selbst heraus – also im faktischen Kern – noch relevanter für Kunden zu machen (siehe auch 2-K-Modell und PDF im Blogeintrag vom 24. Juni 2009). Aber nutzen wir alle, Planner, Kreative und Berater, diese Erkenntnisse und bringen solche Insights aktiv in die Produktentwicklung unserer Kunden ein?

Nein, das tun wir in der Regel nicht.

Vielmehr reden große Agenturen noch immer von 360-Grad-Kommunikation, um möglichst viele Teile des eigenen Netzwerks einzubinden und auszulasten (durchaus zum Wohle des Kunden). Und kleinere Agenturen oder Freelancer-Teams preisen ihr Spezialistentum für Social-Media, Employer-Branding, virales Marketing etc. pp – ebenfalls zum Vorteil für den Kunden.

So oder so wird auf jedem möglichen Terrain die hohe Kunst des Übertünchens perfektioniert, anstatt einfach mal einen neuen Weg zu probieren: nämlich schon vor dem nächsten Briefing als wertvoller, gefragter und vermutlich sogar gut bezahlter „Innovations-Katalysator” Geld zu verdienen.

  • Erstens, um mit dieser Consulting-Leistung die später zu bewerbenden Produkte/Leistungen noch dichter an die Kunden unserer Kunden heranzubringen.
  • Zweitens, um so für positive Dialoge mit den Verbrauchern im Netz zu sorgen.
  • Drittens, um das traditionelle Agenturgeschäft dank besserer Produkte und Briefings zu vereinfachen und um auf dieser Basis ein weiteres Mal Agentur-Income zu erwirtschaften – diesmal allerdings leichter und mit mehr Spaß.
  • Und viertens, um Werbung und das gesamte Marketing mit ganz neuen Disziplinen zu befruchten.

Denn als „Innovations-Katalysator” zu fungieren, heißt ja, die unterschiedlichsten Disziplinen zusammenzubringen.

Vom Innenarchitekten, Ethnologen, Philosophen und Marktforscher …

…über den Chemiker, Physiker, Ernährungswissenschaften oder Ingenieur bis hin zum alles koordinierenden Kommunikations-Profi aus Beratung, Planning oder Kreation. Schließlich ist der Werber dank des tagtäglichen Agenturtrainings wie kein andere darauf spezialisiert, Konzepte und Ideen auf Verbraucherrelevanz hin abzuklopfen – und zwar extrem ergebnisorientiert.

Kurzum: Eine dem herkömmlichen Agenturgeschäft angeschlossene, kreative Consulting-Leistung als „Innovations-Katalysator” (oder wie das Kind auch immer heißt) könnte gerade bei den großen Agenturnetzwerken ein ernsthaftes Geschäftsfeld werden. Zumindest theoretisch. Praktisch gibt es natürlich jede Menge wenns und abers.

Zum Beispiel das bereits Eingangs genannte Statement des CEOs einer sehr, sehr großen Düsseldorfer Agentur:

„Das Initiieren und Managen von Innovations-Prozessen passt einfach nicht in den Agenturprozess … ”

Sind Berater, Planner und Kreative wirklich nicht in der Lage, Produkt-Verbesserungen und -Innovationen zu initiieren und mit dem Kunden und zusammen mit externen Fachleuten voranzutreiben? Immerhin sind Berater meisten studierte BWLer mit einer hohen strategischen und organisatorischen Kompetenz. Planner haben jede Menge Ahnung von Marktforschung und davon, wie man spannende Insights aus Menschen heraus kitzelt. Und Kreative sind Meister des zielgerichteten Querdenkens. Sind diese drei Agenturdisziplinen tatsächlich durch den Agenturprozess dermaßen eingeschränkt, dass ein vorgelagertes, als separate Leistung honoriertes Innovations-Consulting unmöglich ist?

Wahrscheinlich ja, wenn man folgendes bedenkt.

Kreative Menschen halten sich für innovativer als sie sind.

Die Original-These aus der Studie „Deutschland, ein Land der Innovatoren?” besagt im Kern, dass sich Führungskräfte, die tagtäglich überdurchschnittlich viele und häufig auch ganz neue Entscheidungen treffen müssen, für viel innovativer und innovationsfördernder halten, als sie de facto sind (befragt wurden 208 Führungskräfte aus Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern aller Branchen aber ohne Werbeagenturen). Es liegt nahe, dass sich dieses Phänomen bei Menschen – auf Agentur- wie auch auf Kundenseite – noch verstärkt, wenn man den ganzen Tag direkt oder indirekt mit Kreativität zu tun hat.

So gesehen könnte es also sein, dass man sich vor lauter Entscheiden und Kreieren schon für immens innovativ hält, was im Bezug auf Kommunikation ja zumeist auch stimmt. So innovativ, dass ein über die Kommunikation hinausgehendes Engagement, mit dem Ziel, Produkte und Leistungen im Kern für Kunden relevanter zu machen (Marketing also zum immanenten Entwicklungsbestandteil zu machen) gar nicht mehr in Erwägung gezogen wird. Vor allem dann nicht, wenn alle Kreativ-, Beratungs- und Planning-Kapazitäten (einschließlich Produktmanagement auf Kundenseite) wieder einmal bestens damit ausgelastet sind, ein suboptimales Produkt mit einer brillanten Kampagne zu kaschieren.

Dass es außerdem in einer solchen Phase selten dämlich wäre, mit dem Kunden allen Ernstes über ein innovativeres, besseres und womöglich schon im Kern kundenrelevanteres Produkt diskutieren zu wollen, ist klar.

Aber wann passt´s denn nun?

Nicht „wann”, sondern „wo” ist die richtige Frage.

Wenn man sich die Agenturarbeit so wie oben beschrieben als linearen Prozess vorstellt (Drehungen und Schleifen übersehen wir jetzt bitte mal geflissentlich ;-) dann gibt es tatsächlich keinen vernünftigen Zeitpunkt, zu dem eine wie auch immer geartete Leistung als Innovations-Katalysator passen würde.

Zwar haben alle Agenturen in den letzten Jahren immer wieder neue Disziplinen integriert. Aber Webdesign und Social-Media sind letztendlich genau so wie Print, TV oder Plakat auch nur spezielle Kampagnen-Darreichungsformen, – auch wenn diese neuen Disziplinen ein erhebliches Umdenken erfordern. Sie lassen sich also im üblichen Prozess vom Briefing/Rebriefing über Planning, Strategie- und Konzeptentwicklung bis zur Realisierung als zusätzliche Ausprägungen der kreativen Idee integrieren. Und da diese Prozedur bei einem treuen Kunden ein immer wiederkehrender, sich zumeist sogar überschneidender Prozess ist, gibt es nur eine Möglichkeit, Innovations-Consulting unterzubringen: nämlich daneben.

Mit anderen Worten: Im normalen Agenturalltag gibt es kein „davor” und „danach”. Ergo kann diese neue Source of Business nur als eigenständiges / paralleles Angebot funktionieren. Und es wird funktionieren. Denn wenn es in Agenturen schon Sonderbeauftragte für 360-Grad-Kommunikation gibt, dann gelingt es einer Agentur mit entsprechender Größe doch wohl auch, einen personifizierten „Innovation-Katalysator” zu benennen, oder? (Nach dem herrlich lästerlichen Bild vom 360º-Beauftragten, der rotierenderdings in seinem Bürostuhl sitz – ihr wisst, wen ich meine – weiss ich jetzt schon, welche Assoziation der Inno-Katalysator hervorruft ;-))

Innovations-Enabling begeistert.

Und damit das Thema jetzt nicht im „Vielleicht” oder „man könnte ja mal” hängen bleibt, hier noch eine kleine, hoffentlich ermutigende Abschluss-Anekdote aus meinem Akquise-Leben: Als ich nämlich im Frühjahr letzten Jahres versuchte, Agenturen mit einer kleinen Sonderaktion für Cook & Coach® zu motivieren und dazu mit einer beträchtlichen Anzahl von Chef-Plannern und -Beratern sprach, war ich unglaublich verblüfft: Fast jeder, mit dem redete, war spontan von der Idee begeistert, die Top-Führungskräfte ausgewählter Agentur-Kunden im speziellen, von uns entwickelten Cook & Coach®Seminar darin zu trainieren, Innovationen noch besser möglich zu machen.

Positiv ist also nach diesem inoffiziellen Research, dass Planning und Beratung extrem begeistert reagierten und das Thema „Innovations-Enabling” nach eigenem Bekunden für sehr wichtig hielten. Negativ war allerdings, dass aus der Begeisterung keinerlei Aktion erwuchs. Gelegen hat´s übrigens nicht an den Kosten (das war so, glaubt es mir), sondern daran, dass sich keiner für eine solche „Diversifikation” der Agenturleitung verantwortlich fühlte. Zum einen aus oben genannten Gründen: also Arbeitsüberlastung. Zum anderen, weil das Thema selbst beim Chef-Planner oder Business Director noch zu niedrig aufgehängt war.

Mit anderen Worten: Die Begeisterung ist da. Was fehlt ist eine mutige, konzertierte Aktion von CEO plus CCO, um daraus auch tatsächlich ein neues Geschäftsfeld zu machen.

  • Um sukzessive von einer Dienstleistung wegzukommen, die sich noch zu oft darauf beschränkt, Produktmankos mit kreativen Kampagnen zu kaschieren.
  • Um als interdisziplinär koordinierender Innovations-Möglichmacher Geld zu verdienen.
  • Und um so zu einem Katalysator für Produkt- und Dienstleistungs-Innovationen zu werden, die wahrhaft gefragt sind.

Bin sehr gespannt auf Kommentare.

Besonders interessiert mich natürlich die Einschätzung potenzieller Kunden einer solchen, neuen Agenturleistung. Wie interessant und wie glaubwürdig wäre ein solches Angebot? Welche Chancen sehen Werbetreibende darin? Und ließe sich diese interdisziplinäre Leistung des „Innovations-Katalysators” überhaupt in die Geschäftsprozesse integrieren?

Weitere Blogbeiträge zum Thema:

—> Betriebsromantik

—> Wissenswertes über Innovationen

—> 2-K-Modell als Messlatte für Produktentwicklung und Innovationsmanagement

(siehe PDF am Ende des Beitrags)

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Nachtrag:

Am 08.07.2010 schrieb Ralf Schwartz vom Werbeblogger den feinen Beitrag “ Ist der ‘Spirit’ der Werbung einem fatalen “Realismus” gewichen?


    • Kommentator
    • 21. Oktober 2009

    ist im Prinzip eine gute Sache. Kommt natürlich auf´s Produkt an. Von
    manchen Produkten muss man schon ein wenig mehr Ahnung haben als so
    ein Werber oder BWLer in der Regel mitbringt. Ich denke da zum
    Beispiel an Mathe, Physik, Chemie, Maschinenbau oder Informatik.
    Bevor man zum Beispiel ein zusammenfaltbares Auto für die
    Westentasche vorschlägt – was zwar relevant und praktisch wäre (man
    denke nur an die sich deutlich entspannende Parkplatzsituation) –
    sollte man vielleicht vorher jemand fragen, der Ahnung vom Autobauen
    hat. Aber Anregungen kann man sicher immer geben, da ist Querdenken
    von Vorteil. Wahrscheinlich sollte man so eine Leistung auch lieber
    auf Honorar und nicht auf Erfolgsbasis abrechnen. Oder man entwickelt
    die Sachen bis zum Patent und verkauft sie dann an einen Produzenten.

  1. Lieber „Kommentator“,

    klar, bei Produkten aus dem Pharmabereich, bei individuell gefertigten Hightech-Maschinen und -Anlagen, bei der Entwicklung von Microchips und Nanotechnologie etc. pp. wird man wohl keinen Innovations-Katalysator, sondern Forscher und Ingenieure brauchen. Obwohl . . . ?!
    Und ich stimme dir auch zu, dass ein Planner oder Berater oder Kreativer mit großer Sicherheit wenig Ahnung von Physik, Chemie, Maschinenbau etc. hat.

    Dafür hat er aber drei andere Fähigkeiten — oder sollte sie zumindest nach einigen Jahren in leitender Position und in einer guten Agentur haben:

    a) Er / Sie kennt die richtigen Insights. Also z. B. den zunehmenden Stress durch die tägliche Parkplatzsuche —> Eine der möglichen Lösungen wäre dann etwa das faltbare Auto ;-) Oder die Abneigung der Konsumenten vor angetrockneten und hochgerollten Käsescheiben im eigenen Kühlschrank —> Auf die bereits existierende, wiederverschließbare Käsepackung ist ja vielleicht ein schlauer Werber gekommen.

    b) Er hat die nötige Übung, völlig unterschiedliche Disziplinen zielgerichtet zusammenzubringen. Und damit meine ich nicht nur Kreation plus Beratung plus Planning. Da sind ja noch ein paar andere Disziplinen beteiligt — etwa bei der Realisierung.

    c) Und er besitzt durch die Arbeit auf den verschiedensten Kunden die nötige, breit gefächerte Übung, Nebenkriegsschauplätze ausschließen, gute von schlechten Konzepten unterscheiden, das Potenzial von Ideen erkennen und Menschen verschiedenster Disziplinen motivieren zu können. All das sollte einem erfahrenen Kreativen/Planner/Berater in Fleisch und Blut übergegangen sein.

    Was liegt also näher, als dieses Know how zu nutzen, um zumindest die vielen Produkte des täglichen Lebens besser zu machen — also auch die Produkte/Leistungen mit den größten Werbespendings. Als „Innovations-Katalysator“ muss man solche Innovationen ja nicht selbst erfinden, sondern „lediglich“ kreativ und interdisziplinär möglich machen.

    Und was Hororierung angeht: Ich finde, das ist klassisches Projektgeschäft und nach Aufwand abzurechnen.

    • Harald Willenbrock
    • 26. Oktober 2009

    Klar macht Pferdelackieren weder Spaß noch Sinn. Und natürlich können
    Agenturen hilfreich sein beim Produkteverbessern.

    Aus Kundensicht (also eines Account Managers) würde ich aber fragen:
    Warum gerade mit denen? Habe ich einen Etat dafür (in den meisten
    Fällen: Nein)? Und können Agenturkreative wirklich mehr beitragen als
    kreative, schlaue, wache Externe anderer Coleur und Profession? (Das
    hinge vermutlich vom Einzelfall ab).

    Ich glaube daher, das Modell würde vor allem in Konstellation eines
    inhabergeführten Kunden (wo der Werbetreibende identisch mit dem
    Innovator/Produktentwickler ist) und eines Kreativen, die sich
    gegenseitig kennen und schätzen, funktionieren. Ansonsten sind die
    Andockstellen vermutlich zu gering.

  2. Na guck mal einer an. So langsam dringt das Thema in die Agenturszene vor, wie man Sebastian Turners Gastbeitrag im Blog der Axel-Springer Akademie entnehmen kann. —> http://snipurl.com/zeo7x

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