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Warum einfach so kompliziert ist.


Einfachheit ist der wohl wichtigste Trend für alle Entwickler komplexer Dienstleistungen und Produkte, für Agenturen mit Anspruch und natürlich für all die, die keinen Bock mehr auf kompliziert haben. Denn Einfachheit stellt den Nutzer und nicht die Technik, den Menschen und nicht den Prozess in den Mittelpunkt und sorgt so für Produkte und Dienstleistungen, die tatsächlich die Needs von uns Kunden treffen, die wir lieben und die wir haben wollen. 

Einfachheit wird in einer Welt, die sich immer schneller entwickelt, logischerweise auch immer wichtiger. Zum Beispiel, weil durch Einfachheit aus dem frustrierenden Gefühl der Unkontrollierbarkeit ein Ich-hab´s-im-Griff-Erfolgserlebnis und aus der Mach-ich-wenn-ich-Zeit-hab-Barriere spielerische Neugier wird.

Noch Mitte diesen Jahres hätte ich mit Überzeugung die Auffassung vertreten, dass Apple wie kein anderes Unternehmen für EINFACHHEIT steht und dass diese Denke tief in der Unternehmens-DNA verankert sei. Doch dann – nur zwei, drei Keynotes später – eine für Apple völlig untypische Gigahertz- und Megapixel-Protzerei über die ich im September twitterte:  „Die gestrige #iPhone-Revolution: Technikverliebte Ingenieure und blutleere Bits-&-Bytes-Zähler haben jetzt offensichtlich das Sagen.“

Nach der ein oder anderen Reorganisation bin ich mir zwar sicher, dass Apple auch zukünftig wieder mit Lösungen verblüffen wird, die nach der Maxime „ Simplicity is the Ultimate Sophistication“ (Headline der ersten Apple-Broschüre) entwickelt wurden. Und vielleicht gibt´s demnächst ja sogar wieder ein verblüffendes „one more thing“ – bitte ungeleakt, liebes Apple-Marketing. Doch dass selbst der Einfachheits-Treiber Nr. 1 so schnell in die Bits-&-Bytes-Eck abdriften kann, macht deutlich, wie leicht man vom Kurs abkommen kann und wie verdammt schwierig Einfachheit tatsächlich ist.

Und auch wenn die E-Plus-Tochter Simyo seit Jahren kommuniziert, dass „einfach einfach einfach ist“ und der Discount-Ableger von E.ON die Simpel-Formel „E wie einfach“ für sich reklamiert, zeigen doch beide Anbieter ob der vielen zur „Verbraucheraufklärung“ nötigen Fussnoten, wie sehr der Teufel im Detail steckt. Sogar bei Leistungen, die gar nicht erklärungsbedürftig sein sollten. Da nötigt es einem schon ein ganz anderes Maß an Respekt ab, wenn sich eine Ergo mit ihrem erheblich komplexeren Portfolio zum Kundenversteher und Einfachmacher entwickelt, diesen Weg trotz PR-Desaster 1, 2 und 3 konsequent weiter geht und sogar interne Irritationen in Kauf nimmt, wie das Filmchen „Klartext sprechen ist harte Arbeit“ zeigt.


Aus dem Film:
Vorher: „Nicht versichert sind Haftpflichtansprüche aus der Aufsichtspflichtverletzung über eigene Kinder, es sei denn der Versicherungsnehmer ist nur gelegentlich und im Einzelfall nicht für eine längere Dauer als drei Monate zur Aufsicht berufen.”
Nachher: „Versichert sind Ihre eigenen, minderjährigen Kinder.”
Folge: Besserer Versicherungsschutz für den Kunden. Chapeau, liebe Ergo!

Wie bemerkenswert dieser kleine Film ist weiss jeder, der selbst schon versucht hat, einfach zu sein. In meinem Job zum Beispiel immer dann, wenn es eine neue Strategie (Positionierung, Agenturbriefing etc. pp) zu präsentieren gilt und Entscheider anwesend sind, die sich nicht tagtäglich mit Marketingfragen befassen. Denn einfach wird die ganze Chose immer erst dann (frei nach Blaise Pascal, der da schon 1660 schrieb: „Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen einen langen Brief schreibe, für einen kurzen habe ich keine Zeit“), wenn man sich genügend Zeit nimmt, irrelevante Denk-Fährten (auch die eigenen), Pseudo-Features und Nebenkriegsschauplätze auszuschließen.

Als Externer wird man für diesen Denkaufwand ja zumeist bezahlt und man geniesst vielleicht sogar ein gewisses Maß an Narrenfreiheit bei der Präsentation einer solch „aufgeräumten“ Strategie. Aber als Interner birgt das Einfachmachen durch das systematische Weglassen des Komplizierten häufig die Gefahr, Kollegen gehörig auf den Schlips zu treten. Will man sich da den Job und das Leben etwas leichter machen kann es passieren, dass man indirekt Blödsinnigkeiten wie der „Drahtlos-Lüge“ Vorschub leistet. Das ist weder schön noch einfach, dafür aber bestimmt teuer.

Abgesehen von Zeitmangel und falschem Respekt vor tradierten Prozessen (und Kollegen) gibt es noch zwei weitere Hürden:

Schönreden und Präventiv-Konsens:

Beides sind Entschlussumgehungstaktiken, die zwar das eigene Leben leichter, nicht aber ein kompliziertes Angebot einfacher und für Kunden begehrlicher machen.

Phantasie- bzw. Messlattenlosigkeit:

Wir wissen doch schon alles über unsere Kunden und haben schon alles getan. Oder noch besser: Wir wissen nichts über unsere Kunden, außer dass man über die keine neuen, geschweige denn spannenden Erkenntnisse gewinnen kann. Deshalb setzen wir erst einmal einen Vereinfachungs-Prozesse auf, dessen Ziel es ist, billiger zu werden. Denn wenn wir billiger sind fällt es unseren Kunden ja viel einfacher, sich für uns zu entscheiden. Die Vorschläge für den neuen Prozess überlassen wir dem unteren bis mittleren Projektmanagement. Das motiviert den Nachwuchs ungemein.
So, nächster Tagesordnungspunkt der Vorstandssitzung …

Abschließend noch ein Statement von Steve Jobs zum Thema „Warum einfach so kompliziert ist“:

… „Simplicity is the Ultimate Sophistication.” What we meant by that was that when you first attack a problem it seams really simple because you don´t unterstand it. Then when you start to really understand it, you come up with these very complicated solutions because it´s really hairy. Most people stop there. But a few people keep burning the midnight oil and finally understand the underlying principles of the problem and come up with an elegantly simple solution for it. But very few people go the distance to get there. …
[Computerzeitschrift BYTE, Februar 1984]

Wer mehr über die Chancen von Einfachheit erfahren möchte, ist herzlichst eingeladen, sich am Mittwoch, den 28.11.2012, von 18:30 bis 19:00 Uhr die Live-Diskussion des virtuellen Blogger Camps anzuschauen. Gunnar Sohn, Wirtschaftsjournalist, Johannes Schleeh, Online Marketing-Profi, Bernd Stahl von Nash Technologies, Andreas H. Bock, Spezialist bei der Telekom für Kundenservice im Social Web und ich werden gemeinsam frische Insights zum Thema produzieren – live und ungefiltert (was mich enorm beruhigt ;-)

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Hier der YouTube-Mitschnitt.